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Begrüßungsrede gehalten bei der Jahresfeier des Fördervereins Natürliche Wirtschaftsordnung am 28.11.2008 in Wuppertal

 
 
 
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

"alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher als andere", lesen wir bei George Orwell. Ich meine, hier und heute: Alle Momente sind besonders, aber manche Momente sind besonderer als andere. Wir treffen uns hier zu einem historischen Zeitpunkt, der eine entscheidende Wende für unsere Gesellschaft, für unsere Wirtschaft, sogar für die globale Wirtschaft und unser aller Leben bringen kann.

Mit Schrecken beobachtet die Welt die Finanzkrise; es zeichnet sich ein Szenario ab, dass es in der Realwirtschaft möglicherweise erst eine Deflation, dann in vielen Ländern eine hohe Inflation geben wird. Wir teilen diesen Schrecken nicht unvorbereitet, sondern sehen in ihm die große Chance, dass die Welt nun verstehen wird, was es tatsächlich mit dem exponentiellen Wachstum von Geldvermögen auf sich hat.

Schon über hundert Jahre ist diese Erkenntnis alt, sie ist treu von Hand zu Hand weitergeleitet worden, von Angesicht zu Angesicht überliefert worden; sie wurde ausgefeilt, über die Jahrzehnte hinweg den aktuellen Gegebenheiten angepasst, immer wieder neu durchdacht, und durch die kritischen Angriffe von Außenstehenden wurde das Gebäude immer robuster und lud letztlich sehr viele dazu ein, teilzunehmen am Aufbau dessen, was Silvio Gesell wagte, als "das gewaltigste Werk aller Zeiten" zu bezeichnen. Tatsächlich bringt die Abkehr von der Gier im Wirtschaftsleben und die Einführung dessen, was wir Freiwirtschaft, Natürliche Wirtschaftsordnung oder Humanwirtschaft nennen, eine komplette Veränderung, ein Aufatmen, für unsere gequälte Erde.

Jeder von uns hat eine andere Vision, wie die Gesellschaft aussehen wird, wenn die Geldreform durchgeführt wurde. Wenn die Wirtschaft erst einmal befreit ist vom krebsartigen Zins- und Zinseszinswachstum sowie von der Übermacht der Spekulation und sie sich auf die Initiative und Tatkraft sehr Vieler verteilen kann, dann wird jedes Land, jede Gemeinde, jede Gemeinschaft... mit der Zeit die für sie sinnvollsten Lebens- und Arbeitsformen hervorbringen.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen einen Aspekt aus meiner persönlichen Vision beschreiben. Ich wünsche mir, dass die Wirtschaft von ihrer Anonymität befreit wird. Dazu möchte ich Ihnen etwas erzählen: Ich habe in der Nähe von Köln auf dem Land eine Freundin, diese hat einen Sohn, und der ist Pilot bei einer Fluglinie. Neulich ist er über Köln geflogen, und er teilte seiner Mutter vorher die Uhrzeit mit. Es war mitten am Tag, und er sagte ihr, er würde beim Flug über Köln mit dem Bodenlicht blinken, damit sie wisse, dass er es ist, dort oben in der Luft. Ein kleines privates und persönliches Zeichen in einer völlig technischen und durchorganisierten Situation. Ganz unabhängig davon, dass bei uns viel zu viel geflogen wird, hat mich diese Geschichte berührt. Ich wünsche mir eine Welt, in der die Persönlichkeit im Beruf auch ihre Gefühle zum Ausdruck bringen kann, sodass es zum Beispiel üblich wäre, durch die Gänge eines Bürogebäudes auf dem Weg zum Kopierer ein Liedchen zu pfeifen. Eine Welt wünsche ich mir, in der man hinter Wirtschaftsleistungen Personen wahrnimmt und nicht nur Markennamen.

Die persönliche, konkrete Vision einer Gesellschaft, in der nicht mehr das Geld dominiert, sondern die Menschlichkeit, kann sich jeder selbst ausmalen, und in der Zusammenschau all dieser Gemälde liegt unsere Kraft. Von den konkreten technischen Möglichkeiten, die Geld- und Bodenreform durchzuführen, werden sich die besten herauskristallisieren. Als ein erster Schritt wäre meiner Meinung nach zu begrüßen, dass das staatliche Geldemissionsmonopol aufgehoben wird, was ja schon durch die Regiogeldbewegung vorbereitet wurde, die zum Glück mit Wohlwollen von der Bundesbank geduldet wird. Dürfen verschiedene Institutionen Geld emittieren, so werden Geldsysteme, die das größte Vertrauen genießen, bevorzugt verwendet werden.

Unsere Zeit ist gekommen. Es ist Zeit, größere Mengen von Menschen für unsere Analysen zu sensibilisieren, aber vor allem für unsere Vision zu begeistern. Die schon über hundert Jahre unter der Oberfläche agierenden vielen Ehrenamtlichen, die keine Mühe gescheut haben, an Politiker zu schreiben, Vorträge zu halten, Artikel zu verfassen, Ideen weiterzuentwickeln, an Ständen mitzuwirken, die Geduld ihrer Ehepartner und vor allem Ehepartnerinnen zu strapazieren durch diesen Dauerjob: Nichts von alldem war umsonst, selbst wenn sie teilweise, wie Moses, die Ankunft am Ziel nicht mehr persönlich erleben konnten.

Es vollzieht sich in unserer Welt ein stiller Wandel der Organisationsstrukturen: Waren noch bis vor wenigen Jahrzehnten die Medienstrukturen ausschließlich pyramidal organisiert, mit One-to-many-Informationen, leben wir nun schon längst dank dem Internet in einer Many-to-Many-Informationskultur. Die Tatsache, dass sich die Gesellschaft immer mehr netzwerkartig organisiert, birgt in sich die Hoffnung, dass es möglich sein wird - als Gegenpol zu der pyramidalen Macht in der Politik - zunehmend eine partizipative Demokratie zu erschaffen, in der an der Basis der Gesellschaft an Entscheidungen gearbeitet wird.

Es ist die große Stunde gekommen, in der die Kooperation aller Beteiligten in der Gesellschaft groß geschrieben werden wird: und zwar keine additive Kooperation, sondern eine synergische, eine Zusammenwirkung, in der jeder einbringt, was er kann und dadurch gemeinsam etwas Größeres entsteht, als wenn man Einzelleistungen addieren würde. Leben wir dies jetzt schon vor! Jeder Mann, jede Frau, ist mit seinen oder ihren ganz speziellen Fähigkeiten gefragt. Wir haben jetzt schon die Chance, das was letztlich unserem Planeten aus dem Desaster helfen wird, in unserer Bewegung zu praktizieren.

Wichtig ist dabei nicht, ob die Einführung der Freiwirtschaft zum Beispiel an eine neue Finanzministerin namens Margrit Kennedy gebunden sein wird, oder ob sie eingeführt wird, weil Jörg Gude Angela Merkel berät. Es ist gleichgültig, ob Prof. Berger sie als Bundeskanzler einführt oder ich als Ghostwriterin Peer Steinbrück verdrängte Zusammenhänge unterjubele. :-) Wichtig ist einzig, dass wir einmal sagen können: "Wir gemeinsam haben es geschafft!" Jeder steht hinter jedem und unterstützt jeden, mit praktischen Erfahrungen, mit Informationen, mit seinem Mitfiebern, wenn einer seine Arbeit öffentlichkeitswirksam einsetzt. Der Sieg eines jeden ist auch der Sieg aller anderen. Silvio Gesell stand am Anfang der entscheidenden Erkenntnisse zum Geldsystem, es gab niemanden, der sie so früh hatte wie er, aber heute kommen unabhängig davon an ganz unterschiedlichen Orten unseres Planeten Menschen auf ähnliche Ideen – wichtig sind hierbei keine Namen, sondern dass wir als Menschheit gemeinsam diesen wichtigen Schritt schaffen!

Silvio Gesell sagte in seiner Verteidigungsrede 1919: "Die zu lösende Aufgabe erfordert opferfreudigen, großzügigen Geist". Wichtig an "opferfreudig" erscheint mir das "–freudig". Wir sind es nicht mehr gewohnt, so zu denken. Wie kann man sich nur freuen, dass man etwas opfert? Viel zu sehr hat, auch uns, das kapitalistische Denken, das uns an jeder Straßenecke, durch die Fernsehröhre, an unserem Arbeitsplatz und bei unseren Einkäufen überrollt, fest im Griff. Wir denken in Nullsummenspielen, die die Synergie leugnen. Was das bedeutet und welche Vorzüge es hat, uns ein Denken in Nichtnullsummenspielen anzueignen, erfahren Sie in meinem Vortrag morgen.

Ich möchte noch ein paar weitere Stellen aus der Verteidigungsrede zitieren. Wie Sie wissen, drohte Silvio Gesell die Todesstrafe, weil er zum Finanzminister der wenig später gestürzten Münchner Räteregierung bestellt worden war. Alleine war er, in einem 'Ungemach", wie er es nannte, in Todesgefahr, aber voller Hoffnung – und die Situation draußen in der Welt schien ähnlich verfahren wie die heutige unserer Welt. Wir wissen, dass die Situation in vielen Teilen der heutigen Welt noch extremer ist, und so kommt uns der Satz Silvio Gesells fast familiär vor: "Die Reichsbank macht sich eher vor jedem Dienstmädchen lächerlich, als dass sie eingesteht, am Ende ihres Lateins zu sein." Er beschreibt die damalige Situation folgendermaßen: "Flickarbeit, vollkommene Ratlosigkeit gegenüber der Arbeitslosigkeit, der Wohnungsnot; Hoffnungslosigkeit in den Arbeiterkreisen, Verzweiflung in den führenden Schichten. Immer neue Reibungen zwischen den Ministern, von denen die eine Hälfte nach rechts zieht, die andere wohl nach links möchte, aber den Weg dahin nicht findet. (...) Stillstand ist der Erfolg, und Stillstand ist heute die Ruhe, in der die Hagelwetter sich vorbereiten."

Wer heute eine lichtsprühende Theorie zur Führung der Finanzen braucht, sagte mein Großvater, "dem wird wohl nichts anderes übrigbleiben als nach Stadelburg sich zu bequemen. Dort in dem Ungemach 169 wird er sie finden." (Stadelburg wurde das Gefängnis Stadelheim genannt, in dem Silvio Gesell in Untersuchungshaft gesessen hat.)

Wir heutigen, die wir hier zusammensitzen, haben gegenüber Silvio Gesell einen großen Vorteil: Es ist inzwischen im Stillen über den ganzen Globus bei sehr vielen Menschen das Bewusstsein herangereift, dass ein Vorwärtskommen der Menschheit nur "miteinander" funktioniert. Meiner Meinung nach ist die Zeit inzwischen reifer geworden für die Aufnahme der Ideen Silvio Gesells. Das Erkennen von tatsächlichen Zusammenhängen lässt sich ab einem bestimmten historischen Zeitpunkt nicht mehr aufhalten, dort hin zu kommen, wo es hingehört: In die Herzen und den Verstand der Menschen.

Nun wünsche ich Ihnen allen eine gute Jahresfeier und einen schönen Aufenthalt in der Silvio-Gesell-Tagungsstätte.

                                                                                                                                                                              

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